Nach dem als Untergang der
alten europäischen "Väter"-Welt verstandenen Weltkrieg und
dann verschärft seit der Wahl Hindenburgs zum
Reichspräsidenten der Weimarer Republik stellt der Journalist Roth
in vielen seiner bedeutendsten Feuilletons die Frage nach "geistigen
Grundlagen für eine neue Welt", eine Welt der "Söhne" und
"Enkel". Im "Hiob" behandelt Roth diese Thematik am Beispiel eines
"ganz alltäglichen" Ostjuden und seiner Familie, indem er die
Romanfiguren hineinstellt in die Situation zwischen dem katastrophalen
Scheitern sämtlicher festen Bindungen - derjenigen an die
traditionellen "Welten" (v.a. die jüdische) und an die neuen
"Welten" der 20er Jahre (v.a. "Amerika") - und der Solidarität mit
allen Gescheiterten als einziger Alternative. Roths Antwort auf die
Frage nach "geistigen Grundlagen für eine neue Welt" ist
universalistisch-utopisch: In der als multikulturell aufgefaßten
Welt der mediterranen Kultur, wie er sie seit 1925 in
Südfrankreich erlebt und in seinen Feuilletons für die Leser
der "Frankfurter Zeitung" beschrieben hat, glaubt der Autor die Welt
seiner galizisch-jüdischen Kindheit wiederentdeckt zu haben - eine
Welt "hinter dem Zaun", der in den 20er Jahren alle die umgibt, die
"zur deutschen Welt" gehören, eine Welt, in der es darum ginge,
dass "ich keinen Typus, keine Gattung, kein Geschlecht, keine
Nation, keinen Stamm, keine Rasse repräsentiere", sondern nur
"mich selbst". Im Roman vermag ausschließlich der Sohn des
Protagonisten, der geniale (Unterhaltungs-)Musiker Menuchim, auf diese
Weise zu sich selbst zu finden - nachdem er zuvor durch tiefstes,
unmenschliches Leid hindurchgegangen ist. In
ostjüdisch-chassidischer Tradition entwirft Roth auf der
Handlungsebene "Finsternisse, um zugleich die Gnade in ihnen zu
finden"; letztlich ereignet sich dies allerdings nur in der vom Autor
selber als "biblische Musik" charakterisierten, lyrisch-magisch das
Leiden und Scheitern der Menschen und den Untergang von "Welten"
erinnernd heraufbeschwörenden Sprache des Romans und in der
Transparenz der Bilder, indem sowohl einzelne Personen und Szenen als
auch die Gesamthandlung auf zentrale Personen, Szenen und Konzepte der
Mythen der Hebräischen Bibel hin durchsichtig werden - von Adam
und Noah über Abraham, Joseph und Moses bis zu Hiob. (D.S.)
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